Dienstag, 30.07.24 GTA Süd
Nix rauf, nix runter, nix rüber…
Also ich werde nie verstehen, wie man wochenlang den ganzen Tag wandern kann, und sobald man sagt „Pausentag“ dann geht plötzlich gar nix mehr! Ich habe es heute NICHT in den wohl sehr schönen Wellnessbereich des Hotels geschafft!!! Das war mir „zu weit!“ Ich hätte über die Straße ins Haupthaus gehen müssen…und „zu kompliziert“ - ich hätte noch ein zweites Handtuch organisieren müssen 🙄
Außerdem war ich schon um 6:30 Uhr aufgestanden um den Mann noch zu verabschieden. Eigentlich wollte ich mit zur Bushaltestelle, aber das war dann wirklich zu früh und zu weit…
Ein ALLERLETZTES Bild zu zweit…
Dann will er eigentlich gehen. Aber er hat die Rechnung ohne den Chef des Hauses gemacht… Da rennt er gerade von links aus irgendeinem Nebeneingang. Er rennt eigentlich immer. Den ganzen Tag!! Den ganzen Abend! Aber er sagt zu den Deutschen hier im Hotel immer, sie sollen mal „Tranquilo“ machen. Das sagen Italiener gerne zu uns Deutschen „Entspann dich mal!“ Zu mir sagt er es nicht. Ich bin inzwischen scheins gechillt genug…
Er sieht den Mann, der gerade die Strasse runtergeht, ich sage (vielleicht eine Spur zu melodramatisch auf ihn deutend) „Jetzt verlässt er mich einfach!“ und er sagt: „Aber doch nicht ohne Kaffee!!“
Frühstück gibts eigentlich erst ab 7, dem Mann ist Essen im allgemeinen und Frühstücken im Besonderen ja nicht so wichtig, es ist jetzt kurz nach halb 7. „Der Bus geht doch erst in 20 Minuten, du musst doch nicht 10 Minuten früher an der Bushaltestelle stehen??“ sagt der Wirt verdutzt. Die Deutschen wieder 🙄
„Hopp, rein mit dir an die Bar!“ und er bekommt einen schnellen Espresso und ein Hörnchen.
Und sieht dabei aus wie ein echter Italiener am Bar-Tresen.
So jetzt muss er aber wirklich los!
Hier vorm altehrwürdigen Eingang seit 1882…
Und dann ist er weg.
Ich husche zurück ins Bett und schaffe es gerade noch bis um 9 Uhr zum Frühstück. Da sitzen vier deutsche Radfahrer aus Rosenheim, die mal lieber ein bisschen „tranquilo“ machen sollen. Sie haben aber ganz viel Stress, weil es heute Nachmittag Gewitter geben soll und sie ihre Tour umplanen mussten und jetzt dringend los müssen. Es gibt Gewitter? Heute?? Echt??? Das wäre ja praktisch. Der Wettergott hat ja noch 1,5 Regentage gut, wenn er meint heute einen verballern zu wollen, wäre das ja super!
Bislang ist es aber gut, ich platziere mich hier auf der Hotel-Terrasse, lese und schreibe. Ich hab überhaupt keine Idee, was die nächsten Tage kommt, ich hab immer nur bis Sambuco geplant. Das hole ich jetzt nach. In die westlichen Seealpen geht es, zu Thermalquellen, in den Alpi Maerittime Naturpark und zu Europas höchstgelegenem Kloster. Na das klingt doch abwechslungsreich. Und nach viel BADEN!
Ich bin ich also wirklich „alleine“. Mal gucken, wie das wird. Ich mag das ja schon auch, mal ein paar Tage ganz für mich, zu 100% nur seinen Gedanken nachhängen, seinen komplett eigenen Rythmus lebend.
Wobei es Gerüchte gibt, dass ich ab morgen vielleicht ein paar Tage gar nicht alleine bin, aber die glaube ich irgendwie noch nicht, obwohl sich die Anzeichen schon sehr verdichten…
Ja ich hab heut wirklich nix gemacht. Nicht mal ein Eis gegessen, wie das heutige Titelbild suggeriert. Das hätte ich gerne, aber auch das war mir ebenfalls „zu weit“. Das ist gestern entstanden. Aber es sah so nach Urlaubstag aus ☺️. Und dann fingen tatsächlich am frühen Nachmittag ziemlich dolle zu Gewittern an, bis in den Abend. Na das ist ja wieder ein Timing! Und es ging solange, dass ich dem Wettergott einen ganzen Tag von seinem Kontingent abziehen werde. Er hat jetzt noch nen halben! Teil es dir gut ein.
Irgendwann tauchen die zwei Hamburgerinnen auf, Team „Bergkleid“. Es ist die dritte Begegnung und sie sagen zum dritten Mal denselben Satz „Also HIER machen wir jetzt erstmal einen Pausentag…“😂
„Wieso seid ihr mit euren ständigen Pausen jetzt eigentlich am selben Ort wie ich?“ frage ich sie. Naja, ein bisschen Busfahren war wohl dabei und wir sind ja über das Lago Verde Rifugio gegangen einen Tag länger. Der gesprächigeren der beiden geht es nicht gut, ihre Füße machen das alles nicht mit, sie dachte die Knie wären die Schwachstelle, sagt sie, aber die Füße sind jetzt so hinüber. Mal gucken, wie es nach dem Tag Pause sein wird, sie hofft so sie kann weiter gehen. „Und wie geht es dir?“ frage ich die Cyclam-Bergkleid-Frau, die ja immer etwas schweigsamer ist. „Gut.“ sagt sie.
Nachmittags liege ich auf dem Bett und schaue Bilder an.
Wenn ich mal diese ersten zwei Wochen auf dem Süd-GTA mit dem Nord-GTA letztes Jahr vergleichen, fallen mir ein paar Dinge sofort auf:
Die Hunde sind soviel freundlicher. Vielleicht auch einfach fauler, ich weiß es nicht. Oft heben sie nur verschlafen den Kopf wenn man vorbei läuft. Das ist sehr sehr angenehm!
Die Jahreszeit! Diese Hänge voller Alpenblumen!! Sowas habe ich noch nie gesehen. Damit verbunden auch die Temperatur, die einfach ne Ecke angenehmer ist als letztes Jahr
Die Leute…Ich habe bislang nur nette MItwanderer gehabt, die Quote an deutschen Lehrer:innen ist erfreulich niedrig, (gar keine bislang) es gab wirklich noch niemanden, der richtig genervt hat oder wo man sich nicht gefreut hat, wenn man ihn / sie ein zweites Mal getroffen hat. Es sind generell mehr Italiener unterwegs, Holländer, Franzosen. Es ist viel bunter, wo wir letztes Jahr auf den GTA-Hütten fast ausschließlich Deutsche waren. Oder sogar Schwaben. Was manchmal einfach anstrengend ist, wenn da wieder 8 deutsche Gewitterexperten zusammen sitzen und das Regenwahrscheinlichkeit in 8 Tagen diskutieren.
Und nicht nur die Menschen, auch das Essen ist vielfältiger, es gibt viel mehr vegetarisches Essen, Gemüse, Obst, weniger Polenta. Die Portionen sind nicht so überladen riesig.
Die Landschaft und die Vielfalt sind wirklich gigantisch schön. Es hat mich jeden Tag aufs Neue umgehauen.
Es spricht fast jeder Englisch, einige sogar Deutsch, viele Französisch. Das war letztes Jahr so mühselig, diese „Italien only“ Politik, die viele Gastwirte aktiv ausgesprochen haben. Wenn sich beide Seiten bemühen, geht es soviel leichter.
Also ich bin unglaublich zufrieden mit den ersten beiden Wochen. So viel Schönheit, Freude, Glück. Der Mann hatte ja glaub schon die leise Hoffnung, dass ich mit ihm zurück heimfahre. Dann wollte er mich beim DAV-Summit in eine „betreute Wandergruppe“ einbuchen, die echt in ein paar Tagen zufällig hier von Sambuco die restlichen Etappen gegangen wäre mit Bergführer. Aber sie kam dann nicht zustande, damit war diese Diskussion vom Tisch. Darauf hätte ich ja gar keine Lust gehabt.
Grad weiß ich wirklich nicht, was jetzt noch kommen soll. Das war so reich. Aber wir schauen mal….Die Schweizerin meinte vor ein paar Tagen, das fehlt ihr manchmal, seid die Kinder da sind, das gemeinsam nur mit ihrem Mann wandern Oder auch mal alleine und den eigenen Gedanken nachhängen.
Und als ich da ganz beseelt von meinen Fotos aufschaue (inzwischen wieder auf der Hotel-Terrasse sitzend) kommt doch schon das nächste Highlight um die Ecke: Meine beiden Holländer!! Wir haben uns ganz umsonst verabschiedet, stimmt, die wollten ja von hier direkt nach Strepeis gehen und dort enden. Und ich bin ja jetzt nicht wie geplant im Schottisches -Schloss-Rifugio (weil die mich ABGELEHNT haben!!!😠) Sondern gehe morgen auch nach Strepeis!
„Ich hab denen schon gesagt, dass sie uns zum Abendessen zusammen setzen sollen“ sagt sie vergnügt, nachdem sie drinnen was bestellt hatte. Ach das ist ja schön…
Ich chill noch ein bisschen am Zimmer, dann ist eh schon bald Dinner-Time:
Es gibt heute das berühmte Samuco Lamm. Ich mag ja Lamm immer nicht so richtig gerne, und Fleisch das man eh nicht so gerne mag, sollte man dann ja wirklich nicht essen. Ich nehme das vegetarische Essen, will nur ein bisschen vom Lamm probieren?
Es schmeckt tatsächlich köstlich und ganz anders wie bei uns. „Ist ja auch Sambuco-Lamm“ sagt der Wirt stolz.
Ich bekomme nochmal was. Auch heute fragen sie bei jedem Gang, ob man noch Nachschlag möchte. Das ist großartig.
Von Marion kann ich noch viel lernen. Guckt mal, jetzt hat sie schon wieder ein anderes Kleid an, nachdem sie heute Nachmittag noch dieses trug.
„Wieviel Kleider hast du bitte in deinem Wanderrucksack?“
„Eins“ sagt sie. „Guck, ist ein Wendekleid!“
Ich muss dringend ein Gespräch mit dem Bergkleidhersteller meines Vertrauens führen, dann kann er vielleicht nach innen Cyclam und außen Cayenne machen? Genial.
Marion will die Etappe morgen nicht gehen, ihre Knie meckern jetzt schon sehr. Sie fährt mit dem Taxi und wird in 15 Minuten dort sein, was für mich ne Tagestour werden wird. Manchmal ist das schon ein bisschen frustrierend, wie langsam man im Vergleich zum Auto ist…
Aber wir machen ein Tauschgeschäft: Mann gegen Bikini! Sie leiht mir ihren Mann für morgen aus für die Etappe nach Strepeis, der würde die nämlich schon gerne laufen, dafür bekommt sie meinen Bikini. Die beiden haben nämlich ein Zimmer in dem Hotel mit Pool bekommen, wo sie ab morgen Vormittag Dank Taxi schon sein wird, sie hat aber kein Badezeug dabei. „Wie kann man denn ein Wendekleid im Rucksack haben aber keinen BIKINI???“ frage ich verwundert. „Das ist doch das allererste was man für jede Alpenüberquerung einpackt??“
Der Nachtisch war der Knaller.
„Ist das nicht toll“ seufzt Onno. „Man muss sich einfach mal ein paar Tage keine Gedanken ums Essen machen. Man bekommt ungefragt 3,4,5 Gänge hingestellt und weiß, es ist immer großartig. Wein Rot oder weiß? Und auch der ist einfach immer gut.“ Zuhause haben sie eine Öko-Gemüsebox, die Bio, saisonal und regional zusammengestellt wird und sie kochen viel selbst. „Und uns liefert ihre eure holländischen Mist-Tomaten in die Supermärkte!“ schimpfe ich.
Wir sprechen noch lange, über die Liebe und das Leben, trinken ein bisschen Rotwein. Ich frage sie, wie man als Paar so lange so offensichtlich glücklich miteinander bleibt wie sie.
Sie überlegen überraschend lange. Dann meint er „ich wusste einfach sofort, dass sie die Frau ist, mit der ich zusammen sein will.“ „Als ich ihn getroffen habe, war es, als ob jemand meine Seele streichelt.“ sagt sie. „Es braucht wohl schon eine Anziehung, ein Feuer, aber das muss man dann pflegen und lebendig halten.“ „Es braucht jeder auch seine Interessen, seine Freiheiten, seine Hobbies“ sagt er. Sie nickt und ergänzt: „aber dann sollte man sich auch erzählen, was man erlebt hat, das teilen, was einen daran begeistert hat. Neugierig am anderen bleiben und interessiert.“ Wenn ich ihnen so zuhöre, auch die letzte Woche schon, würde ich noch ergänzen „und sich gegenseitig bei der Karriere unterstützen, sich freuen, wenn es beim anderen gut läuft.“
Und sich mit voller Präsenz gegenseitig zuhören. Im Gegensatz zu manchen langjährigen Paaren, die sich oft gegenseitig das Wort abschneiden, weil man jetzt eh schon weiß, was der andere sagen will, sind sie beide so maximal freudig offen interessiert, an allem was der andere sagt. Obwohl sie bestimmt die eine oder andere Geschichte auch schon kennen…. Es ist maximale Wertschätzung.
Irgendwie ist in diesem Jahr auf dem GTA sehr viel Liebe zuhause. Ich habe doch einige so liebevolle, tief miteinander verbundene Paare gesehen in den letzten zwei Wochen.
Das ist so schön zu sehen.❤️
Ich kann verstehen, dass du den Mann vermissen wirst, ich kann aber auch verstehen, wie sehr du deine Zeit für dich genießen wirst!
Wie lange bist du denn schon mit dem Mann zusammen? Das sind doch auch nicht erst 2, 3 Jahre….ich kann dir sagen, dass 47 Jahre wie im Flug vergehen…und man immer noch gerne zusammen lebt, streitet, genießt, versöhnt, Neues plant, zickt, ….eben das volle Programm! Und das so gerne und bewusst!
Ich wünsche dir genau das! Denn das bedeutet unterm Strich Glück 🍀 und dafür bist du ja der Spezialist 😍
Ich freue mich auf deine nächste Berichterstattung
Frau G aus N