Tag 32 GTA - Gefangen im Gourmettempel

Samstag, 27.08.23 - ungeplanter Pausentag in Balme

Die gestrige Diskussion, ob man denn heute bei Starkregen die schwere (oder eben doch nicht so schwere nach Meinung des Wirtes) Etappe gehen sollte, endete ja irgendwie in der Luft. Viele Meinungen, keine Klarheit.

Als ich heute morgen aufwache und auf den Balkon trete, ist da plötzlich sehr viel Klarheit. Auf keinen Fall steige ich da in diese Nebel-Regen-Suppe, die um die Berge rumwabert und uns auch hier unten im Tal nicht in Ruhe lässt. Ich bleibe hier, nehme morgen am Montag, wenn endlich wieder ein Bus geht den Bus ins Nebental und steige die kleine Etappe auf ins Rifugio Vulpot. Ende der Diskussion. Zufrieden steige ich ins Bett zurück und als ich eine Stunde später nochso halb in Schlafklamotten zum Frühstück schlurfe, kommen mir grad die zwei „rauf gehts ja immer schneller“-Jungs in voller Regenmontur entgegen. Der eine mustert mich von oben bis unten und meint: „du siehst NICHT so aus, als würdest du gleich losstarten?“

„Nein“, erkläre ich, „weißt du, als ich heute morgen aufgewacht bin da hatte ich plötzlich ÜBERHAUPT GAR KEINE LUST da jetzt in die Kälte rauszugehen. Also so gar keine! Deswegen bleibe ich heute hier!“ Das klingt plötzlich ganz logisch. Die beiden gucken sich fragend an, „naja also LUST haben wir jetzt grad auch nicht direkt. Also auch GAR nicht. Aber es hilft ja nix, wir haben ja nur eine Woche Zeit….“

Wir verabschieden uns - sie steigen richtung Berge, ich richtung Frühstücks-Buffet. Wo schon alle sitzen und es bleiben außer den beiden Jungs auch alle da. Und dann kommt die beste Nachricht von der Chefin, oben sei doch noch ein Aufenthaltsraum, der sei doch gemütlicher als hier unten? Und der ist wirklich perfekt kuschlig chillig um mit dicken Socken und einer heißen Tasse Tee da den ganzen Tag abzuhängen, zu lesen, zu schreiben und nebenbei die wesentlichen Probleme unseres Landes zu lösen.

Die beiden Proteindamen sind Klimaexpertinnen, die eine mit eigenem Startup, die andere war bis vor kurzem bei einem der großen Consultants in diesem Bereich tätig. Also klären wir kurz das mit dem Klima.

Die Frau des Nicht-Pärchens ist Ärztin, Thema Gesundsheitssystem ✅ Check.

Das junge Pärchen, Lukas und Christina promovieren gerade im Bereich gesetzliches Rentensystem, hier müssen wir ein wenig längeren diskutieren, sie wollen meinen Vorschlag, allen 1977 geborenen extra-Zuschläge zuzuschreiben (eine Verdopplung erscheint mir angebracht) nicht so einfach durchwirken.

Die Chefin fragt irgendwann, wer Mittagessen will. Ich winke sofort ab, also bitte, wir sitzen ja heute nur rum. Die beiden Klimaexpertinnen sagen sofort zu „also bitte!“ ruft sie mir zu. „Wegen dir sind wir doch überhaupt hier, du hast uns das auf dem Weg von Cerasole hoch ans Herz gelegt, jetzt sitzen wir hier gemeinsam fest, in einer Gourmetvilla, da schlemmen wir natürlich. Den ganzen Tag!“ Die Frau hat völlig recht. Ich korrigiere meine Aussage zu „ich will auch Mittagessen!“ und kurz drauf gibt es die leckerste Pasta meiner Reise. Ich flippe völlig aus. „Ich will genau DAS heute Abend nochmal essen, geht das??“ frage ich. Sie lacht und sagt jaja. Wir bestellen Nachtisch, ich probiere jetzt alle. Bonet zum Mittagessen und heute Abend das dritte auf der Karte.

Klimaexpertin I, die Ex-Beraterin bestellt Panna Cotta. „Ich brauche jetzt bitte eine fundierte Zweit-Meinung“ sage ich zu ihr. „Das ist wichtig. Ich darf hier keinen Fehler machen. Meine Leser vertrauen auf objektive, seriöse und vor allem korrekte Berichterstattung.“

Sie taucht den Löffel ein. Probiert. Nimmt einen zweiten Löffel. Sagt sehr lange nichts. Und dann: „Also das ist schon sehr sehr sehr geil.“

Und dann gibt es bald schon Abendessen am großen gemeinsamen Tisch in sehr geselliger Runde. Und mit dem dritten Nachtisch auf der Karte:

Martina vom Ammersee, die gerade rückwärts den GTA geht und schon einiges im Süden gesehen hat, sagt nochmal, wieviel einsamer es dort ist. „So viele Leute wie heute hier aber ich im ganzen Süden nicht getroffen.“ Hm… Mal gucken, ob ich das nächstes Jahr dann alleine machen mag. Ich fand den Nordteil schon sehr einsam.

Wir studieren gemeinsam mit der Chefin den Busplan, sie schreibt uns alles Raus, Lukas, einer der Rentenexperten spricht Gottseidank fließend italienisch, sonst hätte ich das alles niemals verstanden. Die beiden Klimaexpertinnen werden sich NOCH einen Pausentag hier morgen gönnen, sie wollen die nächste Etappe unbedingt zu Fuß gehen und haben Zeit. Martina läuft in die andere Richtung weiter, Der Rest von uns bricht morgen mit dem Bus und zigmal umsteigen nach Useglio auf. Das ist doch mal ein Plan.

Was für ein unerwartet schöner Tag!