Donnerstag, 15.08.24
GTA Süd Le Seusa - Alta Via Etappe 64
Hm rauf 780, Hm runter 850, km 25,5
Unterwegs von 8:30 - 16.00 Uhr, reine Gehzeit ca. 6:30h
Kosten Agriturismo Le Seusa: 80 Euro EZ, HP, alle Getränke
Ob „Patisserie“ zum Frühstück ok sei oder ob ich etwa auch „SCHINKEN“ haben wolle, hatte mich Giovanni gestern Abend noch gefragt. Er hat Schinken tatsächlich auf Deutsch gesagt, weil es wohl auch immer nur die Deutschen sind, die diesen „spätnachmittags-gerne-mal-zum-Bier-Snack“ allen Ernstes zum Frühstück verspeisen. „Patisserie“ ist großartig, habe ich geantwortet, ich brauche keinen Schinken.
Und da steht sie vor mir, die Patisserie. Er erklärt mir die Kuchen-Abfolge: Das ist Schokoladenkuchen, hier Apfelstrudel, daneben Pflaumen-Crostata und da die Kringel, die sind mit ….“ Ich verstehe „Weißwein.“
„Weißwein?“ frage ich lachend nach, in der Annahme, mich verhört zu haben.
„Si! Vino di Bianco!“ sagt er stolz.
Sie haben mir Weißwein ins Frühstück eingebacken 😂
Ich sage mal so: Für einen trockenen Alkoholiker ist das hier nicht der ideale Ort.
Allen anderen empfehle ich ihn uneingeschränkt.
Dass er mir noch ein paar Erdbeeren aus dem Garten gepflückt hat, nachdem ich gestern gesagt hab ich mag die so gerne, rührt mich sehr.
Er sagt auch heute zu allem stolz: „Das hat meine Frau gemacht!“ Er bringt von ihr gebackenes Brot, dann kommt Kaffee. Er läuft schon wieder zig mal Treppe rauf, Treppe runter für mich. Sie selbst kommt kurz darauf auch runter und meint, sie habe gerade den Wetterbericht gesehen, es kommt eine Gewitterfront die so in einer halben Stunde startet und dann ca. 2 h dauert, dann wäre sie durch. „Sie kommt vom Meer!“ Es klingt anklagend. Als ob vom Meer ja nie was Gutes käme. Hm, soll ich das hier abwarten? Eigentlich war mein Plan bis zu dem geschlossenen Rifugio Gola die Gouta (zurück) aufzusteigen, und mich zur Not da dann unterzustellen. Aber dann wäre man schon mal auf dem Weg, hat fast alle Höhenmeter weg und nur noch 4 h Laufzeit vor sich. Da wäre ich in knapp 2h. Und bis dahin bin ich im Wald auf Forststrassen, da wird mich schon der Blitz nicht treffen. Hier jetzt den halben Vormittag zu warten fühlt sich nicht richtig an. Wir diskutieren das kurz, dann beschließe ich, ich gehe los.
(Gabriella, Meisterköchin und Giovanni, preisgekrönter weiße-Bohnen-Anbauer und Winzer)
Ob ich die Kuchenreste noch mitnehmen mag? Ja gerne, ich packe einen Teil davon ein.
In der Tupper ist gerade Platz, keine Schweinshaxe, die mich beim Deckel öffnen überrascht.
Giovanni meinte ja gestern noch, hoffentlich macht das Rifugio bald wieder auf, damit sie langsam den Gästebetrieb runterfahren können, es ist dann doch auch anstrengend, immer für eine Nacht Zimmer und so zu machen. Jetzt steckt er mir aber doch eine Karte zu, ich soll sie weiter empfehlen. Das tue ich hiermit aus vollstem Herzen sehr gerne. Und als ich mich 2 h später in dem Rifugio Gola di Gouta unterstelle denke ich mir, ich glaube der kleine Umweg lohnt sich wirklich! Auch künftig, wenn oben wieder geöffnet ist.
Die Morgenstimmung ist sehr schön.
Aber es wird schnell dunkel am Himmel.
Jetzt aber los - wieder aufsteigen. Der Wettergott ist auch schon wach und poltert schon wieder herum. Jetzt rechnet er alles GANZ genau nach, wie das halt so ist, wenn man sich übervorteilt fühlt. Es donnert, es kracht, es nieselt. Der Wald hält den Regen eine Weile ab, aber dann duscht es doch sehr runter. Es ist warm und ich will cool sein, ziehe also KEINE Regensachen an. Das ist nur ein Sommergewitter - das macht mir doch gar nichts!
Ich staune, wie schnell ich plötzlich bergauf gehen kann. Ich bin tatsächlich nach 1,5 h oben und die zusätzlichen 600 Hm sind somit geschafft. Damit hätte ich auch die weggemogelten 600 Hm von der Limonetto-Garelli Etappe wieder ausgeglichen!
Ich bin Hm-neutral und stehe jetzt wieder auf der Originaletappe. Und - wenn wir mal kurz auf die Karte gucken - schon ganz schön nah am Meer...
Das ist das geschlossene Rifugio Gola di Gouta. Ich bin jetzt bis auf die Unterwäsche klatschnass, stelle mich hier unter und ziehe mich um. Es ist doch plötzlich ganz schön kalt.
So, wieder trocken und warm. Und dann sitze ich da und schaue dem Starkregen zu. Unter dem Dach einer wegen Wassermangels geschlossenen Hütte. Der Mann ist gerade auf dem Weg zum Wank, es scheint Wochenende zu sein. Oder nein, Feiertag in Bayern. Und hier ja auch - Ferragosta! Dazwischen checkt er für mich den Regen-Radar. Um 12:20 Uhr wäre es bei mir durch, sagt der Mann. Noch eine Stunde.
Ich esse einen Weißwein-Kringel-Keks.
Es gibt Netz, ich schicke ein paar Nachrichten herum, in denen ich erwähne, wie stark es gerade regnet. Ich bin sehr verwundert, dass doch einige Menschen schreiben "Oh wie gut, dass du dem Mann die Regenhose nicht mitgegeben hast." Es sind diese Momente, wo ich mich wie jedes Jahr verwundert frage: Sagt mal LEST ihr das ECHT ALLES, was ich hier schreibe?? Das ist mein TAGEBUCH! 😂
Und kurz nach 12 ist es tatsächlich vorbei! Ich ziehe trotzdem noch meine Regenhose an, und packe mich dick ein, einfach weil es jetzt superkalt ist. Dann hatte die auch noch ihren Auftritt. GUT, dass ich sie dem Mann nicht mitgegeben habe.
Der Rest des Weges ist jetzt zwar lang aber leicht. Es werden heute abend schon wieder 25 km sein, das hat die letzten Tage ein bisschen überhand genommen mit diesen >20 km Etappen.
Uuuuund guckt mal was da ausgeschrieben ist... Langsam könnte man auch Jacke und Regenhose mal wieder ausziehen. Es wird plötzlich wieder sehr heiß.
Ein paar Militärbunker passiert man noch mal.
Der Himmel wird wieder blau. Lieber Wettergott, JETZT ist dein Kontingent aber wirklich aufgebraucht. Wie jedes Jahr bei 30-40 Tagen wandern In Summe 2 Regentage. So auch 2024.
Und noch ein Militärbunker. Mit AVML Markierung. Wenn man reinguckt, dann sieht man: Hier hat es sich jemand gemütlich gemacht...
Ein Grashüpfer begleitet mich eine Weile, er ist mit einem Hüpfer so weit, wie ich nach 3-4 Schritten. Das ist schon sehr effizient. Nach einer Weile hüpft er zur Seite weg, er scheint zu denken, dass ich den Weg jetzt schon selbst finde.
Da hinten kann man das Meer erahnen.
Woran man es aber noch viel deutlicher merkt sind die Geräusche. DAS ist so sehr Süden. Italienischer Sommer. Hört mal rein:
Unter den Füßen knistert es von Tannennadeln und dicke Zapfen fallen immer mal wieder auf dem Weg. Hoffentlich trifft mich keiner.
Noch 500 Meter. Dann Ankunft. Man soll klingeln, genau hier:
Es passiert aber nichts. Ich hatte extra morgens noch eine SMS geschickt, dass es so stark regnet, ich noch ein bisschen warte aber spätestens 16 Uhr da sein werde. Sie meinte, das passt. Es ist ja Ferragosta - nicht dass sie mich vergessen hat und vereist ist?
Im Garten spielen Kinder, die sagen, sie dürfen die Tür nicht öffnen. Da müsste ich schon warten, bis die Patrona kommt. Und dann kommt irgendwann auch eine junge Frau angelaufen, sie ist wohl die Enkelin, die Oma kommt erst morgen und macht mir Frühstück, sagt sie.
Sie haben zwei Zimmer, ob ich das mit zwei Betten oder mit einem Doppelbett möchte? Bevor ich noch antworten kann, wirft sie erschrocken die Tür zum Doppelbett Zimmer wieder zu und meint lachend, nein, das hier wohl nicht. Ich hätte zu gerne gesehen, was sich dahinter verborgen hatte, es klang nach einem vergessenen Lover der Oma.
Also bekomme ich dieses hier. Es hängen viele Zettel, was man alles nicht darf. Die Verbote variieren, je nachdem welche Sprache man spricht. Deutsche dürfen nachts die Klospülung nicht benutzen.
Italiener keine Kondome ins Klo werfen. Das mit dem WIFI ist fake. Es gibt kein Wlan, sagt die Enkelin.
Und nur Deutsche dürfen keine Kleider waschen.
Ich darf mein Bergkleid nicht waschen???
Naja, Socken und T-Shirts scheinen ja erlaubt zu sein. Aber natürlich wasche ich nicht!
Ich hab ja nur noch einen Tag. Und ein paar noch GAAAANZ frischer, ungetragener Socken im Rucksack. Und ein ganz sauberes T-shirt. Weil ich dieses Jahr wirklich gar nichts verloren / vergessen habe.
Das Abendessen wird in einem komischen dunklen Flur vor meinem ZImmer serviert, auch heute bin ich der einzige Übernachtungsgast. Ich höre zweimal eine Mikrowelle bimmeln, dann ist mein Essen fertig.
Und das was ich gestern vorgeschlagen hatte, dass ich nicht so viele Gänge brauche und er auch nicht alles wie in Italien üblich hintereinander bringen muss, sondern gerne gleichzeitig, ob das nicht einfacher sei, macht sie hier ganz ungefragt: Eine Vorspeise, Salat, Pasta, alles steht gleichzeitig auf dem Tisch. Noch ein kleiner Krug Weißwein ungefragt dazu, den hätte ich jetzt gar nicht gebraucht. Weil es eh nicht soo gemütlich ist. Heute ist keine Date-mit-mir-selbst Atmosphäre. Sondern schnell Essen. Nach 20 Minuten - fertig. Das schnellste Abendessen meiner Reise. Und in 32 Tagen passiert heute was zum ersten Mal?
Ich bekomme keinen Nachtisch. Am zweithöchsten Feiertag des Landes!! Nichtmal ein olles Bonet. Und schon gar kein Eis 😟
Es ist ganz gut, dass ich heute alleine bin, vor allem dass keine weiteren deutschen GTA-ler hier sind. Es wäre so eine Atmosphäre, wo ich glaube, dass man sehr schnell angefangen hätte, sich zu beschweren, dass das hier nun doch etwas weniger liebevoll ist als die allermeisten Tage zuvor. Und dann schaukelt sich sowas ja sehr schnell hoch und man hört gar nicht mehr auf sich aufzuregen. Und etwas was eben nur nicht ganz so toll wie gestern war, wird plötzlich zur Zumutung.
Wenn ich jetzt aber noch mal genau überlege, ist das doch eigentlich alles sehr gut gelaufen. Es wäre so leicht für sie gewesen, mir abzusagen, dann hätten sie am Feiertag ihre Ruhe gehabt. Die Enkelin räumt schnell meine Sachen zusammen und sagt, sie muss jetzt los, vermutlich zu ihrer eigenen Familie zum Feiern. Die Oma scheint bei ihren Kindern zu sein - hat aber extra wen organisiert, der dafür sorgt, dass ich ein Bett habe und was zu Essen bekomme.
Der Blick von meinem Zimmer ist großartig. Ein gemütlicher Sessel, den ich mir wie eine alte Oma jetzt vors Fenster schiebe. Ein Lemon Soda hab ich von der Enkelin auch noch bekommen (auch wenn es ein FAKE Lemon Soda ist und nicht das Original)
Eigentlich ist auch heute alles gut.
Und da es kein Netz, kein Wlan und niemanden zum plaudern gibt, sieht mein Abendprogramm vor in die Landschaft zu schauen und "einfach sein" zu üben. Das gleichnamige Lied von Willy Astor ist übrigens auch sehr schön...Hört mal rein.
GTA Süd Etappe 64
🫢