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Tag 5 Salzburg – Triest: Steil – schön – steil zur Wasseralm



Sonntag, 04.07.21

Stahlhaus – Wasseralm

1200 hm rauf, 1500 runter, 14,5 km. Reine Gehzeit ca. 7,5 h

Der Tag war im Tagesablauf:  steil – schön – steil – schön🙂


Morgens in den Bergen braucht der Mann meist länger. Viel länger. Er sucht immer irgendwas. Es ist aber jeden Tag etwas anderes… Gestern die undichte Wasserstelle, heute seinen Buff. Ich geh schonmal frühstücken, es ist erstaunlich großartig was sie alles auftischen. Mit Joghurt, Müsli, Kochschinken, Käse, NUTELLA, Apfel und gutem Kaffee.


Ein Typ kommt von draußen rein, er sieht aus als käme er grad vom Wandern? Morgens um 7? Er fragt den Wirt ob er mit frühstücken kann und setzt sich zu mir. Er ist tatsächlich die ganze Nacht gewandert. „Da ist weniger los“ meint er. Der Sternenhimmel war gigantisch bis 3 Uhr, dann fing es an zu regnen, da hat er sich auf der Stahlhausterrasse zu einem Nickerchen unters Dach gelegt. Der Himmel war so besonders, er konnte sogar ein Wolken-Regenbogen-Selfie machen. Ob ich das kenne? Er zeigt mir ein Foto mit einem Punkt (er behauptet das sei sein Kopf) vorm Wolkennebel mit einem regebogenfarbenen Heiligenschein drum rum. „Wenn es dir dreimal gelingt so ein Foto zu machen, dann kann man, wenn man der Sage glaubt, in den Bergen nicht mehr verunglücken“ flüstert er „Wieviel hast du schon?“  Er strahlt mich an „Drei.“


Eine Sage, die einen auffordert Handy-Selfies zu machen? Wohl eine etwas neuere Sage🙂 Aber er wirkt sehr glücklich. Er strahlt so von innen raus. Mir fehlt das heute morgen ein bisschen, ich bin gestern irgendendwie aus der Zeit-Harmonie gefallen, es war so voll und laut und ich bin nicht zum Schreiben gekommen. Plötzlich war das alle-Zeit-der-Welt-Gefühl weg. Irgendwie musste man draußen zahlen bevor man reingeht und drinnen schon fürs Abendessen bestellen, dabei aber unbedingt an dem Tisch sitzen wo man auch Abendessen will. Der Mann saß dann ne halbe Stunde allein draußen um die zwei Draußen-Radler zu zahlen und ich ne halbe Stunde allein drin um ja bis  zur 17:45 Deadline Abendessen bestellt zu haben. Eine riesige Gruppe kam zwischendrin noch an und wollte eingecheckt werden, es war so voll und laut plötzlich. Viele kurze Gespräche mit vielen verschiedenen Menschen anstatt wenige „echte“ Gespräche. Was für ein Kontrast zu den vorherigen Tagen. Und dann war es plötzlich schon 22 Uhr und Hüttenruhe. (Vorher haben wir aber doch noch sehr lecker gegessen, es gab Schweinebraten und Knödel)


Fernwandern hat er noch nicht geschafft, sagt der Nachwanderer, das steht noch an. Jetzt geht es aber mal ne Weile nicht, sie haben grad ein Baby bekommen. Er zeigt mir Bilder, seine Freundin ist gerade mit dem Baby als Schafhirtin auf einer Schweizer Alm, er kommt bald dorthin nach. Das Baby ist 6 Monate alt. Die Schafe dort seien echte Kuschel-Schafe, die kommen immer und werfen einen fast um. Schafe seien am einfachsten zu hüten. Diese Info merke ich mir mal… Ich verweise auf die www.bergzwerg.at Website, wo eine Familie mit ihrem 3-jährigen Knirps den ganzen Salzburg-Triest Weg gelaufen ist. Er lacht, so lange wollten sie damit nicht warten, sie werden das früher angehen. Und empfiehlt mir den Film „Weit“ in dem ein Paar auf Weltreise ein Baby bekommen hat und einfach zu dritt weiter gereist ist. Hier ist ja auch eine Familie, die mit 4 (!!) Kindern eine Woche des Salzburg-Triest Weges läuft. Das kleinste ist 1 Jahr und wird noch gestillt. Es wird mir für alle Ewigkeiten ein Rätsel bleiben, wie das geht. Ein Erwachsenen-Rücken ist voll mit Kraxe und Kind, der zweite Erwachsene trägt das Gepäck von allen anderen? Wobei die anderen 3 Kinder wohl ihr Zeug selbst tragen, der zweitkleinste, so ca  6 Jahre alt, trägt einen 6 kg Rucksack!

Gegen halb 9 kommen wir los, es stehen sehr steile 600 hm auf den Schneibstein auf dem Morgenprogramm. Aber wenn man das hat, ist das „Schlimmste“ des Tages geschafft. Wir sind um 10 Uhr oben und erreichen ein Jubel-Plateau.


Ein Jubel- Plateau zeichnet sich durch 2 Dinge aus: Man hat etwas großes schon geschafft Und man hat oben einen so gigantisch schönen Rund-um-Blick in alle Richtungen. In der Luxus-Variante eines Jubel-Plateaus steht dann noch ein Schild mit einer einstelligen Minuten-Anzeige zu einer Hütte. Letztes Jahr nach der Nieves-Scharte war das so. Den Klettersteig geschafft, gigantischer Blick in alle Richtungen und ein Schild „Piscadu-Hütte 5 Minuten.“ Das war Glück pur. Heute gibt es keine Zwischenhütte, aber das macht nichts. Man sieht zurück aufs Stahlhaus, man sieht weit ins Steinerne Meer, unsere Tour der nächsten Tage. Das Wetter hält und wird sogar besser, blauer Himmel zeigt sich.


Wir ziehen nach einer kurzen Pause weiter weil wir wissen, bald kommt eine Stelle wo häufig Steinböcke zu sehen sind. Heute sind sie aber nicht da. Na es ist Sonntag und noch früh. Vielleicht sind sIe in der Kirche. Oder beim Frühschoppen… Das letzte mal als wir hier waren war es spät am Nachmittag und sie lagen mitten auf dem Weg, völlig unbeeindruckt von uns. Aber kurz drauf sehen wir Gemsen, die sich auf einem übrig gebliebenen kleinen Schneefeld sonnen.


Der Weg wird immer schöner, das steilste ist geschafft, das Wetter hält, alles geht leicht. Der Weg schlängelt sich so schön um die Berge rum, das mag ich am liebsten, wenn sich die Landschaft nach jeder Kurve wieder ein bisschen ändert. Um halb 12 sind wir am Seeleinsee, Gerüchten zufolge kann man dort schwimmen. Meinen Bikini hab ich schon an, ich bin eigentlich immer „bade-bereit“. Nun ja… Das Wasser ist wirklich wunderschön. Aber mehr so zum Angucken… Bis zu den Knien geh ich rein, dann ist’s auch gut… Ich merk schon, Schwimmen kommt auch auf dieser Alpenüberquerung zu kurz.


Jetzt kommt der zweite Anstieg des Tages, der aber nach 150 hm mit bisschen Geröllklettern geschafft ist. Wir laufen durch moosbewachsenen Zauberwald und vorbei an einer verfallenen Alm. Die auf einem wunderschönen Almwiesen-Plateau an einem Bach liegt. „Können wir die nicht aufbauen und hier wohnen?“ frag ich den Mann. Er ist nicht ganz so begeistert:  „Da fehlt einiges. Z.B. eine ZUFAHRTSTRASSE. Dann noch WLAN, Strom, Abwasser.“  Ach manno… Er meint das mit der Genehmigung für den Straßenbau könnte schwierig werden, so mitten im Nationalpark…


Der Wetterbericht meinte, es fängt um 3 Uhr zu regnen an. Mein Mit-frühstückender Nachtwanderer meinte morgens lachend, das könne ja gar nicht sein, weil es habe ja schon um 3 Uhr Nachts geregnet. Aber der Hüttenwirt-Wetterbericht hat recht. Wir wechseln in die Regenjacke und es stört gar nicht, es ist die letzte Stunde des Tages, nach einem warmen, traumhaft schönen Tag.


Jetzt haben wir beim Ankommen an der Wasseralm wieder das Geborgenheits-endlich-da-Gefühl.

Die Wasseralm ist nach 8,5 Stunden erreicht, mit Pausen waren wir genau in der Christof-Zeit aus dem Rother-Führer. Das beruhigt mich sehr. Die letzte Stunde wird es nochmal ziemlich steil… Aber ich hab es ohne Meckern geschafft weil ich eine Stunde lang dachte, es sind eh nur noch 15 Minuten. Damit hatte ich ja auch recht. Sogar 4 Mal!  Dann: Ein Schild „Wasseralm – 1 Minute“ und da liegt sie schon wunderschön auf einer Lichtung.



Ich mache ein Video, der Mann stupst mich an, direkt hinter uns ist eine Gems und guckt freundlich rüber. Dann springt sie munter in den Wald.


Der Therapeut sitzt vorm Regen geschützt unterm Dach auf einer Bank und grüßt. Nanu? Wolltest du nicht bis zum Kärlingerhaus? Da ist heute Stromausfall, sie nehmen keine Übernachtungsgäste, er hat jetzt doch hier spontan Asyl bekommen. Er hat Karten vor sich ausgebreitet und plant seinen nächsten Pausentag. Ich musste damals ja 3 Betten buchen im 4-Bett Zimmer, unser drittes Bett hatte ich ihm schon vor ein paar Tagen angeboten. Aber er hat jetzt ein anderes und wir ein winziges 4 Bett Zimmer für uns allein. Direkt dahinter ein Wasserfall der uns fröhlich entgegen plätschert. Ich bin EXTREM zufrieden mit der Gesamtsituation. So ein Traumtag. HIer ist es so schön.


Auf dem Weg zu unserem Zimmer sitzen zwei vergnügte Damen Ende 50/Anfang 60 vor ihrem Zimmer draußen auf der Bank, plaudern, lachen und schauem dem Regen zu.  Als wir vorbei gehen und grüßen, starren sie den Mann an.  „Du schaust ja aus wie unser Gesundheitsminister!“ ruft die eine.  Als ich gerade ein Veto einlegen will sagt sie „Naaa, net wie EURER, wie UNSRER!! Der ÖSTERREICHISCHE Gesundheitsminister, DAS ist ganz ein fescher!!“ „Ganz ein fescher!“ pflichtet die Zweite bei. Die zwei sind zauberhaft. Ich mag sie sofort. Den selben Männergeschmack haben wir ja offensichtlich auch 🙂 Wir ratschen noch ein biserl, dann beziehen wir unser winziges Zimmer. Es könnte kalt werden hier…




Das Essen hier wird in vielen Foren SEHR gelobt. Es ist ein schönes Beispiel dafür, dass man immer ein bisschen aufpassen muss WER was sagt. Hier sind es die Veganer, die kommen ja auf Berghütten meist zu kurz. Aber hier gibt es immer und jeden Tag: Gemüsesuppe. Wahlweise mit Wiener. Ich mag Gemüse in warmen Wasser so semi-gern. Auch nicht mit Wiener.  Aber der Kuchen sieht köstlich aus, riesige Bleche türmen sich hinter der Wirtin auf. Es gibt Schoko-Beere, Käse-und Apfelstreusel. Was wir zum Abendessen wollen, fragt sie mit einer Strichliste in der Hand: Gemüsesuppe mit oder ohne Wiener? Der Mann ordert mit Wiener. Ich Kuchen. Was wir zum Frühstück wollen? Brot deftig oder Brot süß?  „Kuchen.“ Die Wirtin guckt mich über den Rand ihrer Brille vorwurfsvoll an „Kuchen zum Abendessen und Kuchen zum Frühstück?“ Ja genau. Marie Antoinette  wäre stolz auf mich. Ich bin Extrembergsteigerin. Ich MUSS ein bisschen auf meine Ernährung achten…. Karotte in Wasser ist einfach nicht ausgewogen…


Wir sitzen lange unterm Dach und gucken dem Regen zu, es ist nicht kalt und mit dem aufziehenden Nebel wunderschön. Zum Essen gehen wir in die Stube, die mit Holzofen beheizt wird und sooo gemütlich ist. , Die Wasseralm war die Engstelle beim Buchen, der Starttag wurde von hier kommend rückwärts gerechnet, weil sie so wenige Plätze hat. Mich hatte das beim Planen etwas genervt, jetzt freue ich mich daran.


Die wenigen Leute die hier übernachten können sitzen alle in der kleinen Stube zusammen. Wir werden Tisch 1 zugeteilt, zusammen mit dem Therapeuten und einem tschechischen Pärchen. Draußen regnet es immer stärker. Der Tscheche sagt, seine Wetterapp prognostiziert Regen die ganze Nacht, ab 6 Uhr morgens hört es auf und dann bleibt es tagelang schön. Ich erzähle, dass ich auch tschechische Großeltern hatte. Und dass meine Oma immer wenn wir nach den Sommerferien wieder heimgefahren sind frühmorgens in der Küche stand und Berge von Schnitzel in viel Butterschmalz gebraten hat, als Wegproviant. Eine meiner frühesten Kindheitserinnerungen. Ich dachte ich erzähle eine nostalgische 80ger Jahre Geschichte, etwas „von früher“ aber er lacht laut, sie guckt grinsend zu Boden. Und dann erzählt sie, dass ihre beiden Kinder letzte Woche ins Ferienlager gefahren sind und sie und ihr Mann am selben Tag nach Berchtesgaden aufgebrochen. Und was hat sie frühmorgens gemacht? 12 Schnitzel gebraten, sechs für die Kinder, sechs für sie selbst. “Sechs Schnitzel?“ staune ich, so weit ist es doch nicht von Prag nach Berchtesgaden? Sie lachen wieder, naja knappe 5 Stunden. Für jede Stunde eins. Plus eins als Reserve.


Der Abend vergeht wie im Flug, die beiden sind so nett und lebendig. Ich mag Menschen. Also, die meisten. Oder – um mit Maupassant zu schließen:

„Es sind die Begegnungen mit Menschen, die das Leben lebenswert machen.“





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