Alpe Cheggio - Antrona - Stück mit Bus - Aufstieg Alpe della Colma
gelaufene KM 8 - Hm rauf 980 - Hm runter 600. Gehzeit 3:45 h
Tief ausgeschlafen und so richtig vergnügt genieße ich den Blick von meinem Balkon über das kleine Dorf. Die Kirche gegenüber hatte die ganze Nacht kein einziges Mal gebimmelt, das war die einzige Sorge, die ich hatte.
Es war so still und ruhig. Zum Frühstück ziehe ich nach draußen um, es ist herrlich. Die Kellnerin fragt, ob mir das dann nicht zu weit zum Buffet ist?? Haha, das schaffe ich gerade noch.
Wir hatten ja gestern noch länger die Route diskutiert, ob gleich an den Orta See und zwei Tage dort bleiben oder doch zur sagenumwobenen Alpe delle Colma hoch? David hatte ein sehr starkes Gegenargument „Das ist doch Mist! Wir steigen 1.000 HM steil hoch um sie dann am nächsten Tag wieder steil runter zu steigen? Wieso denn?“ Ich kann ihm nur zustimmen - ein konzeptionelles Problem einer jeder Alpenüberquerung. Mich „stört“ das auch immer wieder mal ;-)
Paulas Argument war, dass man eben schon sooo viel von dieser Hütte gehört hat, sooo viele die dort ihren lustigsten Hüttenabend verbracht hätten, der Wirt greift wohl öfter zur Gitarre und singt, ein King of Blues sei er. Ich persönlich muss wegen einem singenden Hüttenwirt jetzt nicht extra irgendwo hochklettern, mich zieht es langsam auch an den See. Bis gestern hatte ich auch durchaus etwas Hüttenkoller und damit verbunden die Sorge, dass mein Toleranzspeicher nicht mehr genug Puffer hat für so „technikfeindliche Elektrosmog-Spinner“. Die Hütte ist nämlich „Handyfrei“ man verpflichtet sich beim Buchen, es auszuschalten (und manche sagen auch abzugeben). Aber gestern nach dem schönen Tag war plötzlich alles gut, der Toleranzspeicher wieder voll, ich hatte gecheckt ob ich mein Hotel am Ortasee denn überhaupt auch einen Tag früher beziehen könnte, nachdem das nicht ging - dann soll das so sein, was anderes suche ich jetzt nicht. Und reserviert hatte ich auf der Hütte ja eh schon.
Und als Paula dann - auf Lautsprecher geschaltet - oben anrief um auch zu reservieren und ich das Gespräch nochmal mithörte (ich hatte dasselbe ein paar Tage vorher) dachte ich mir, ok, die sind schon sehr freundlich. Sie fordert nicht, sie bittet und das sei ihr eben wichtig, das mit den Handys und das alle bluetoothfähigen Geräte ausgeschaltet blieben. Gleichzeitig fragt sie, was wir brauchen, ob wir Allergien haben, ob es etwas gibt, was wir nicht gerne essen, ob wir Vegetarier sind ob sie auf irgendetwas bei uns Rücksicht nehmen soll damit wir eine schöne Zeit haben. Irgendwie ist gegenseitige Rücksichtnahme doch eigentlich nicht so schwer…
Das ist also entschieden, der Plan für heute fast klar (laufen oder Bus ist noch die letzte Frage) Ich vergnügt beim Frühstück in der Sonne, die Berliner kommen kurz drauf, wir sitzen, planen, essen, vergessen total die Zeit. Irgendwann kommt die Hotelchefin und fragt freundlich, ob wir langsam die Zimmer räumen könnten? Es ist kurz nach 10, uups, jetzt aber los.
Um halb 11 stehen wir fertig verpackt auf der Route, die erste Stunde bis Altrona laufe ich mit so viel Heiterkeit und Freude im Herzen auf leichten Wegen durch den schmucken Ort in die schöne Landschaft.
Wir passieren das offizielle Rifugio, das sieht auch nett aus und hat einen Garten. Man kann in diesem Ort glaub nichts falsch machen. Aber nichts kann unser letztes Hotel toppen (ich hatte ein BAAAD im Zimmer, erwähnte ich das schon??)
Ein Schild warnt vor Vipern, man solle aufpassen wenn man durchs hohe Gras geht.
“Schlangen reagieren auf Vibration am Boden, dann gehen sie weg wenn sie uns rechtzeitig hören.“ Ich biete an voran zu gehen, ich kann gut den Boden zum vibrieren bringen.
Der Morgen ist so leicht und schön und ich bin total glücklich.
Man passiert einige der superschön renovierten Steinhäuser. Der Tag ist so sanft schön, es ist heute so leicht, dass alle Schönheit ungefiltert durch die Seele strömt. Ich fühle mich so richtig frei und „auf Wanderschaft“.
Nach einer knappen Stunde stehe ich schon in Altrona, sehe die Berliner nicht, die scheinen wo anders in den Ort reingebogen zu sein. Die Beine liefen von selbst!!
Ich kaufe in einem kleinen Laden bisschen was ein und setze mich auf den Marktplatz ins den Schatten an einen Brunnen und schreibe.
Zwei kleine Jungs spielen vor mir Fussball, nutzen die zwei Mülleimer als Tor. Kurz drauf kommt ein Mann und schimpft sie, ob sie nicht sehen, dass die Frau da sitzt und ihre Ruhe haben will?? Haha, das finde ich sehr süß. Er hat mich eben auch gleich als Prinzessin von Bayern erkannt, oder als Romanautorin oder als weltberühmte Alpenbloggerin. Alles verstehe ich dann auch nicht, ich sag ihm aber, dass das schon ok ist. Ich sitze schließlich auf deren Fussball-Feld. “Die können doch auch einfach ein bisschen weiter drüben spielen.“ schimpft er weiter, „die müssen mal lernen Rücksicht zu nehmen.“ Vermutlich ist es der Papa. Die zwei gucken ganz bedröppelt. Warum ich so komisch spreche, fragt der kleinere der beiden, ob ich etwa Engländerin bin?
Bald tauchen die Berliner auf - und die nächste Grundsatzentscheidung gilt es zu treffen. Es ist inzwischen richtig heiß. An der Straße zwei Stunden weiterlaufen oder den Bus um 13:45 Uhr nehmen und bis dahin in einer Bar im Schatten sitzen? Das wäre in 1,5h.
Nun, es wird der Bus und nachträglich glaube ich dass das eine sehr gute Entscheidung war. Erstens sind wir dann ein bisschen früher am finalen Aufstieg, zweitens ist es so heiß, wir wären fix und alle gewesen und drittens sagt uns später jemand der Weg wäre bis zum nächsten Ort noch schön gewesen, geht dann wirklich nur an der Straße entlang.
Wir essen also eine Kleinigkeit in einer Bar vor der Bushaltestelle, steigen dann in den Bus und stehen um kurz nach 14 Uhr vorm Aufstieg zur Alpe della Colma. Fast 1000 Hm steil bergauf im Wald ohne Blick, es gibt kaum Bilder und auch wenig darüber zu berichten.
Paula fasst es in einem Satz sehr treffend zusammen „Was ist denn das für eine Treppe des Grauens???“ David mault: „WEHE, der Typ singt heute nicht!!“ Wieder mal laufen wir auf einem alten Mulipfad, wie sollen da bitte Esel hochgekommen sein? Einfach nur ultrasteile, wadelzwickende Stufen. Das kommt auf den Bildern schon wieder gar nicht so rüber. Es war soo schlimm! Nach den ersten 600 hm wird es ein klein wenig flacher und auch mal Waldweg, nicht nur Treppen. Aber es bleibt Grauen ohne Fernblick.
Wir würden vermutlich ewig brauchen, aber dann hören wir es donnern. Erst weit weg, dann immer näher. Zwei Blitze in der Ferne, die ersten Regentropfen fallen, dann regnet es stärker. Wir bleiben lange trocken, weil die Bäume so dicht stehen und das Laubwerk uns schützt. Aber es hat doch Einfluss auf unsere Geschwindigkeit. Nach guten 2,5h sind wir echt schon oben. Hütte in Sicht.
Dort hängen überall Schilder, Handy aus. Ich stehe im strömenden Regen und muss erstmal googeln, wie mein neues Handy, das ich erst seit 4 Wochen habe, überhaupt aus geht. Anders als das Alte. Aber wie?? Eine Taste drücken reicht nicht, welche noch??Irgendwann ist es aus, ebenso wie das IPad. Kabellose Kopfhörer habe ich nicht. Es entbehrt ja nicht einer gewissen Ironie, das ausgerechnet die Hütte mit der besten LTE Handynetz Abdeckung meiner bisherigen Reise strahlenfrei sein will. Fast jede Hütte hat kein Netz, hier in Italien versuchen sie immer irgendwie Wlan zu installieren, was mal geht, meistens nicht. In Österreich sind fast alle Hütten ohne Netz. Es gäbe echt genug Auswahl.
Der Empfang ist sehr herzlich, die Wirtin zeigt uns die Zimmer, checkt nochmal dass die Handys aus sind und das auch alle GPS Uhren und kabellose Kopfhörer abgelegt werden. Dann bereitet sie in jedem Zimmer eine mit Aluminium durchwebte Decke aus, da sollen wir die Geräte reinlegen. Die Decke wird fein säuberlich zusammengelegt und im Zimmer auf einem Schrank verstaut. Das hält zusätzlich Strahlen ab, erklärt sie uns.
Ja das kann man komisch finden. In mir sind widersprüchliche Impulse, einer möchte gerne fragen, ob sie sich bewusst ist, das vermutlich 100% ihrer Reservierungen über ein Mobilgerät eingehen, ihr Geschäftsmodell „Berghütte“ also maßgeblich von dieser Technologie abhängt? Ein anderer findet sie einfach wahnsinnig freundlich, herzlich und zugewandt, mit maximaler Präsenz. Und irgendeinen Spleen haben wir ja alle (ich z.B. liebe Tomaten in allen Varianten aber WEHE sie sind im gemischten Salat mit drin, dann KANN ich sie NICHT essen!)
Vielleicht gilt doch, leben und leben lassen.
Draußen schüttet es jetzt in Strömen, so dass wir uns alle in der kleinen Stube zusammendrängen. Die schwäbische Familie ist wieder aufgetaucht, die Lehrer sind da, die zwei Freiburger Zelter, wir und eine neue alleinwandernde Frau um die 30. Die hängt auch noch bei der Frage, Waldbiwak oder Durchlaufen? „Durchlaufen bedeutet 2.000 HÖHENMETER bergauf, an einem Tag!“ warne ich. Der Schwabe korrigiert mich - zum wiederholten Male in dieser Woche - „Sind es nicht.“ Wir hatten das Gespräch schon ein paar Mal diese Woche, er besteht darauf, dass es KEINE 2.000 Hm sind. Sondern nur, Achtung, 1.950!
Dem Lehrer seine Schuhsohlen gehen ab und ich lerne, das fast jeder Wanderer Superglu-Kleber in seinem Gepäck mit sich trägt. Gleichzeitig bieten ihm 3 Leute den ihren an. Der Lehrer wehrt ab: „Hab ich selbst“. Interessant. „Sowas hatte ich noch nie dabei.“ sage ich verwundert. „Wie klebst du denn deine Sohlen??“ fragt er mich. Ich sag nix. Sonst bin ich gleich wieder eine Tussi, wenn ich erzähle, dass ich vor jeder großen Tour mit fast neuen Schuhen losgehe. Einfach, weil ich gelernt habe, nach ca. 800 km ist die Sohle durch. Meine aktuellen Schuhe haben eine weichere Sohle, das hat viele Vorteile, aber zwei Nachteile. Einer ist, sie sind eher nach 600 - 700 km profilfrei. Babypopoglatt. Noch bevor die Sohle abfallen kann, das tut sie meist erst nach ein paar Jahren. Wenn man 500 km planmäßig läuft, macht es keinen Sinn, das mit alten Schuhen zu tun. Aber das wisst jetzt nur ihr. Und die Weitwanderschuhe trägt man dann im Herbst auf Tagestouren weiter auf. Aber für die nächste große Tour braucht man (ich) halt wieder Neue. Mein Bergschuhverbrauch ist rasant angestiegen, in den letzten 3 Jahren. BIs 2020 hatte ich 2 Paar in meinem ganzen Erwachsenenleben. Seitdem vier…
Der Wirt (er singt heute übrigens nicht) sagt, wir müssen jetzt den zweiten Tisch frei räumen, es ist Showcooking-Time. Er sieht aus wie ein südamerikanischer Ureinwohner, ist aber doch Italiener. Er macht frische Pasta und wir können zugucken, wie er liebevoll den Teig macht. Sie fragt nochmals ob wir Allergien haben, ob wir alle Pilze mögen, ob wir Knoblauch vertragen? Wir nicken und schauen andächtig beim Pastateigkneten zu. Die beiden scheinen schon ein sehr gutes Team zu sein.
Plötzlich Baby-Gelächter und Gegluckse? Alle schauen sich erstaunt in der Stube um, wie hätte man denn hier ein Baby übersehen sollen? Die Wirtin springt auf, geht zu einer Blech-Keksdose in der Ecke, öffnet diese, holt einen uralten, Babygeräusche von sich gebenden Nokia-Handy-Knochen herauf, nimmt eine Reservierung entgegen, legt das Handy in die Dose zurück und verschließt sie wieder sorgsam.
Manche finden diese Situation… irritierend.
Kurz vor dem Abendessen reißt es plötzlich auf, man sieht wie schön es ist. Der schwäbische Familienvater hat eine analoge Kamera dabei, der Fuchs! Der kann Bilder machen! Wir haben ja nur die Handys dafür. Bzw. jetzt nicht mehr. Aber wir sollen eh erst Essen. Die Pasta porcini sind wirklich unter den Top 3 meines bisherigen GTA-Pasta-Rankings. Danach gibt es Roastbeef. Danach Schnaps. Den hat sie selbst gemacht, selbst die gut italienisch sprechenden finden nicht raus, aus welchem Kraut. google-Translate oder Deepl können wir nicht fragen. Egal, trinken wir halt noch einen.
Nach dem Essen strömen wir nochmal aus, um den Abend zu genießen, das Gewitter ist vorbei. Vor allem hoch auf den kleinen Bergrücken, von dort sieht man besonders weit. 3 deutsche Teenager reiten mit einem schwarzen Pferd vorbei, das ist jetzt fast schon zu kitschig. Sie sind eine deutsche Aussteigerfamilie, erzählen sie, die weiter unten die Steinhäuser versucht zu renovieren.
Man sieht in alle Richtungen, es ist überall schön und eine ganz magische Stimmung. „Und kein Foto, um das festzuhalten“, seufze ich. „Müssen wir halt mal mit den Augen schauen“ sagt David.
Genau. Eine gute Übung. Oder gleich mit dem Herzen, damit soll man ja angeblich besonders gut sehen.
Okay, ich hänge etwas hinterher. Aber ich kämpfe aktuell nicht mit hm sonder schwimme in einem Ozean neuen Themen und Aufgaben🫣
Bei der funkwellenfreien Hütte gibt‘s leider keinen Kontakt 👼
https://youtu.be/iZrMkIX8QyY
Wieder ein kleines Highlight zum Morgenkaffee! Ich freue mich immer total, wenn der nächste Tag da ist und ich ihn verschlingen kann.
Ich hoffe mal, dass das mit der Strahlenabwehr nicht mehr so oft vorkommt.
Freu mich schon auf die Fortsetzung 😊
Fühl dich gedrückt 😍