Pfitscherjochhaus – Pfunders
1264 hm rauf, 2374 hm runter, 24 km, 7:30 Uhr – 17:30 Uhr, 9 Std. Laufzeit
Oh, das war ein sportlicher Tag. Und ein so schöner. Eine echte Traumetappe. Der erste Wandertag in Italien (ich bin in Italien, hab ich das schon erzählt??) Wo es auch auf über 2600 Meter irgendwie lieblicher ist, die steilen Schartenaufstiege durch etwas grün begleitet werden. Die Temperatur milder, der Regen nur sehr kurze Gastspiele einlegen darf und weiß: gleich muss er der Sonne wieder weichen…Das Bachwasser schmeckt ausgewogener, der Espresso sowieso. Italien!
Ich wusste: heute ein langer Tag, viele Höhenmeter rauf, noch mehr runter, dazu noch fast 25 Kilometer. Daher: 7 Uhr Frühstück, um Viertel nach spätestens los. Ich stellte den Wecker auf 6:15 Uhr. Um 6:30 Uhr wache ich auf, verwundert warum der Wecker nicht ging? Ein kurzer Check: Ah! Ich hatte ihn auf 16:15 Uhr gestellt. Ich bin gespannt ob ich am Ende der Reise bereit sein werde mir einzugestehen, dass ich eine Brille brauche. (Ich vermute nein…Der Gedanke von einer Sehhilfe abhängig zu sein macht mir ganz kirre…)
Ich saß also trotz Weckerausfall um 10 vor 7 beim Frühstück und stand um kurz vor halb 8 bereits „auf dem richtigen Weg“. Der Wirt konnte in Frauensprache Wege erklären, nicht dieser Käse mit den Himmelsrichtungen sondern eben „richtig“. „Da gehst du an dem See entlang, der muss zu deiner linken sein, und dann geht es eine Wiese runter und dann einen Wald und wenn du die Forststrasse das dritte mal kreuzt dann gehst du links. Auf den Schildern die dort stehen wird zu lesen sein…“ usw. Sehr guter Wirt. Am Abend vorher hatte er mir eine leckere Graupensuppe gekocht! Und Buchweizenkuchen gebacken, das ist der, den es auch schon bei „Harry“ gab, der mich dann nach Innsbruck gefahren hat. Großartige Erfindung.
Mein höchster Punkt heute ist die Gliederscharte auf 2644 m. Da muss ich drüber. SCHARTE ist sowas wie ein Jöchl, im Gegensatz zu diesem kommt eine Scharte von der Wortmelodie der Realität jedoch sehr viel näher. Hart. Boshaft. Schmerzvoll. Aber die knapp 1300 hm Anstieg werden zum großen Teil in der ersten Tageshälfte bezwungen sein, das ist gut. Irgendwo gibt es laut Wanderführer eine Stelle, wo sich wohl viele München Venedig Geher verlaufen und plötzlich nach 900 hm auf einem falschen Gipfel stehen. Oh nein, bitte nicht schon wieder! Ich finde die Stelle aber gar nicht erst 🙂
Die ersten 300 hm fallen gar nicht auf, man schlängelt sich durch hohe Blumenwiesen durch ein Tal in dem es gemächlich nach oben geht. Ein Bach plätschert neben her, hinter mir hohe Berge, vor mir noch Höhere. Es sieht grandios aus, schon von hier unten. Die Hosenbeine sind bald nass vom Morgentau, es ist eine so schöne Morgenstimmung. Die schönste „Tierszene“ ereignet sich hier in diesem lauschigen Tal:
Während ich durchs hohe Grass stapfe fangen plötzlich an den grünen Seitenhängen über mir die dort grasenden kleinen Kälbchen, zum Teil WEIT oben am Berg, zu rennen an. Eins galoppiert und überschlägt sich fast beim die steile Wiese runter springen. Von allen Seiten rennen schwarz-weiße gescheckte Kälbchen auf mich zu. Um dann allesamt IN EINER REIHE nebeneinander vor mir zum Stehen zu kommen. Sie gucken mich erwartungsvoll an. Sehe ich ihrer Mama ähnlich? Der Bäuerin? Ich weiß es nicht, habe aber den Eindruck, sie erwarten eine Rede. Was wollen sie hören? Ich sage ihnen dass sie wunderschön sind und so ist es auch! Sie kommen näher und ich kann sie streicheln. Sie folgen mir noch eine ganze Weile, bis eine mit Seilen verspannte Brücke uns trennt.
Nun gilt es den ersten Steilen Aufstieg zu bezwingen. Die Wegmarkierungen sind sporadischer gesetzt als in Österreich, es geht über einen Bach und über ein Mini-Schneefeld aber der Weg ist zu finden. Man kann überwiegend im T-Shirt gehen und muss nicht die Daunen-Montur anlegen. Der rote Rother-GPS-Punkt ist auch zufrieden mit mir. Als ich oben am ersten Anstieg ankomme und das steile, lange Stück stolz zurück blicke, sehe ich ganz unten zwei winzige bunte Punkte. Von der Farbgebung könnten das die beiden Studenten sein, die in Stein im Tal genächtigt haben. Na die werden mich dann eh bald eingeholt haben.
Man umkreist jetzt den Berg ein wenig, die Ausblicke werden immer grandioser, steil aufragende Gipfel überall oben jeweils schneebezuckert. Und dann: Schlussanstieg Gliederscharte. Steil, steil, steil. Bislang war ich leicht VOR der ausgeschriebenen Zeit, hier gebe ich wie immer alles ab und noch mehr. Was es leichter macht dass hier noch ein wenig grün zu sehen ist, es ist nicht ausschließlich harter Stein der mein Auge trifft, ab und an taucht sogar ein gelbes Bergblümchen auf und freut sich mit, wenn wieder ein Höhenmeter geschafft ist. Plötzlich Stimmen hinter mir, na sowas, die beiden Studenten. Beide sind begeistert, was DAS für eine tolle Etappe ist. Ich kann nur zustimmen, dann hab ich aber keine Luft mehr. Sie überholen mich und sind weg. Wie kann man nur bergauf so schnell aufsteigen?
Als ich ca. eine Stunde später den höchsten Punkt erreiche, die Gliederscharte, schallt Jubel von allen Bergwänden, zweistimmig? Hab ich schon wieder Höhenkoller? Wo ich sonst Wirecard-Vorstände sehe höre ich jetzt Stimmen? „Geschafft“ schallt es von rechts! Ah da sitzen die beiden unter einem Felsen und machen Pause. Sie wird später feststellen, dass es genau diese Perspektive ist, die auf unserer aller Bibel – dem Rother München – Venedig Führer auf dem Titelbild prangt. Sie ist schon echt sehr aufmerksam. Wahrscheinlich macht es aber auch von der Perspektive einen Unterschied ob man aufrecht oder auf allen Vieren da oben ankommt 😉
Ich gehe gleich weiter, ich habe eine andere Pausenstelle im Sinn – den Grindlberger See ein paar Meter weiter unten, die dritte als mögliche BADESTELLE ausgewiesene Stelle meiner bisherigen Tour. Die ich WIEDER nicht nutzen werde, gerade zieht es zu, es kommt leichter Wind auf, der See sieht grünlich-nicht einladend aus und er ist einfach kalt.
Aber ich mache etwas, dass die letzten Tage so weit oben nie möglich war – eine ausgiebige Brotzeitpause. Langsam erkenne ich auch die Vorteile bei „Scharten“ und „Jöchln“: Die Szenerie ändert sich schlagartig, man lässt die eine hinter sich um komplett in die neue Kulisse hinein zu laufen. Die ersten Dolomitengipfel sind zu erkennen! Ich laufe weiter in diese neue Perspektive hinein, ein neues liebliches Tal vor mir, mit steil aufragenden Gipfeln nach allen Seiten.
Wunderschön und von jetzt an nur noch bergab. Es fängt zu tröpfeln an, und nieselt sich eine Weile ein. Und dann höre ich es zum ersten Mal während meiner Tour, während ich draußen bin: Donner. Weit weg zwar, ich bin aus den Berggipfeln draußen und nähere mich langsam der Forststrasse ins Tal, aber ich lege einen Zahn zu. Wo bleiben eigentlich die zwei anderen? Wieso holen sie mich nicht ein? Hoffentlich sind sie nicht mehr oben. Ich schau mich ein paar mal um, sehe sie aber nirgends. Irgendwie fängt man doch an Verantwortung für die „anderen“ am Berg zu fühlen.
Ich passiere eine bewirtschaftete Alm, überlege ob ich dort pausieren und den Regen abwarten soll. Hinter mir in den Bergen ist alles dunkelbewölkt, vor mir im Tal alles lieblich grün mit blauem Himmel. Ich checke Mac Gyver-mäßig die Windrichtung und beschließe, er kommt von hinten und es macht überhaupt keinen Sinn zu warten, bis das Schwarze hinter mir dann über mir ist. Ich lege noch einen Zahn zu und laufe weiter. Nach einer Viertelstunde hört der Regen über mir auf. Ich drehe mich um, alles blau! Soviel zum Thema WIE schnell sich das Wetter in den Bergen ändern kann, diesmal zum positiven hin. Die Alm, bei der ich eben noch Regen-Schutz suchen wollte liegt weit hinter mir, jetzt komplett in der Sonne. Die beiden Studenten werden später erzählen, sie saßen dort über eine Stunde in der Sonne, haben den Bauern beim Käsemachen und den Kinder beim Spielen zugesehen und es sei einfach nur wunderschön dort gewesen. Wetterprognosen scheinen ähnlich kompliziert wie Aktienmarktprognosen. Und – wie Mark Twain schon wusste – grundsätzlich schwer sobald sie die Zukunft betreffen. Ich höre noch einen weit entfernten Donner, aber für den heutigen Tag ist das Thema Gewitter und auch Regen „vom Tisch“.
Begleitet von vielen Murmeltieren geht es ins Tal. Das italienische Murmeltier unterscheidet sich vom Österreichischen in mehreren Punkten: Es pfeift und quatscht mehr. Es ist irgendwie … tollpatschiger? Während der Österreicher aus seinem Bau rauswinkt und erkennt, dass ich ihm eh nicht in seinen Tunnel nachfolgen kann und es, sobald es genug gesehen hat, entspannt in diesen wieder verschwindet, rennt das italienische Murmeltier ständig aufgescheucht in höchster Aufregung vor einem im zickzack hin und her. Eines ist laut quiekend die halbe Wiese runter gepurzelt. Sehr süß war, als es dann in einer kleinen Senke zum Halten kam, sich aufrappelt und auf allen Vieren weiter geht und gerade so tut, als wäre nichts gewesen, als wäre das alles genauso beabsichtigt gewesen.
An einem Bach mache ich nochmal Rast, wechsel die Schuhe auf Trekkingsandalen und bekomme Besuch von einer kleinen Ziegenherde. Der Anführer, ein lustig dreinblickender Bock mit wilder Punk-Frisur durchsucht meinen Rucksack. Ich war eigentlich auch sicher, noch einen Apfel zu haben, aber wir finden ihn beide nicht. Er wendet sich dann interessiert meinen gerade abgelegten Bergschuhen zu, steckt seinen Kopf hinein. Na wenn er meint…
Ich bin SEHR überrascht, als ich endlich unten in DUN ankomme, dem Nebenort vom Pfunders, dass es von da noch fast 2 Stunden sein sollen? Ich dachte, wenn ich unten bin, bin ich unten. Laaaangsam isses gut mit laufen, inzwischen ist es kurz vor 4. Aber es geht auf einem schönen Panoramaweg, großteils im Schatten und an vereinzelt versprengten Bauernhäusern mit wunderschönen Geranien vorbei. Und da taucht auch Pfunders auf!
Und gegen halb 6 ist dann das einzige Gasthaus in Pfunders, das Gasthaus Brugger erreicht. Ich bekomme statt des 4-Bett Zimmers doch ein Einzelzimmer, das wurde spontan frei. Ich frage nach den beiden Studenten, vielleicht haben die mich ja irgendwo unbemerkt überholt aber sie sind noch nicht da. Sie trudeln eine Stunde nach mir ein, ebenfalls in bester Laune und sehr zufrieden wie unglaublich schön diese Etappe war. Na und dass der Rest des Abends dann noch sehr lustig war, das hab ich euch ja gestern schon angedeutet ;-))
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